DEVAP-Umfrage zeigt: Unterversorgung im Pflegebereich ist Alltag

Stefanie Schwinge-Fahlberg, Stellvertretende Vorsitzende des NEVAP

An der Umfrage zwischen dem 12. Januar und 21. April 2023 hatten 163 Pflegeeinrichtungen aus Niedersachsen teilgenommen. Die Ergebnisse bestätigten, was Pflegeexperten schon lange befürchten.

„Es ist Alltag geworden, dass ambulante Dienste oder auch stationäre Altenhilfeeinrichtungen täglich Anfragen von Angehörigen und auch zu Pflegenden ablehnen müssen, weil Personal fehlt und dadurch Betten nicht mehr belegt bzw. Versorgungsanfragen in der eigenen Häuslichkeit nicht mehr angenommen werden können Die Situation ist für alle Beteiligten kaum mehr ertragbar“, so Stefanie Schwinge-Fahlberg, stellvertretende Vorsitzende des Niedersächsischen Evangelischen Verbands für Altenhilfe und Pflege e.V. (NEVAP).

NEVAP-Vorsitzender Sven Schumacher bestätigt: „Die Hilfesuchenden sind verzweifelt. Der Druck ist groß, so dass Menschen bei einer Absage am Telefon auch häufig in Tränen ausbrechen. Das ist für die Mitarbeitenden sehr belastend, da sie an der derzeitigen Situation nichts ändern können.“

75 Prozent der 163 Teilnehmenden gaben an, dass sie aus personellen Gründen die Leistungen einschränken mussten. Die Hauptgründe sind kurz- oder langfristige Erkrankungen von Mitarbeitenden und die Nichtbesetzung von offenen Stellen.

„Aufgrund des Personalmangels werden bereits heute schon immer mehr stationäre Einrichtungen nicht mehr voll belegt und in der Folge umgenutzt bzw. geschlossen“, so Stefanie Schwinge-Fahlberg. Sven Schumacher ergänzt: „Und dies, in einer Situation in der die Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2030 auf bis zu 6 Mio. um 20% ansteigen wird, während im gleichen Zeitraum 40% des Pflegepersonals aus Altersgründen aus dem Berufsleben ausscheidet.“

In der ambulanten Pflege ist die Lage noch dramatischer. Das hat auch Auswirkungen auf die die stationäre Pflege. „Finden die zu pflegende Person oder deren Angehörigen keinen ambulanten Pflegedienst oder können Pflegeleistungen nicht aufgestockt werden, bedeutet das für viele zu Pflegenden, dass sie in eine stationäre Einrichtung müssen. Wir sprechen von einem sogenannten „Heimsog“, der da einsetzt“, so Schumacher.

Stefanie Schwinge-Fahlberg konkretisiert: „Das verschärft dann natürlich die Versorgungslage in den stationären Einrichtungen und führt dazu, dass Menschen, die eigentlich noch gut zuhause versorgt werden könnten, ins Heim müssen und damit auch häufig aus ihrem sozialen Umfeld herausgerissen werden.“

Wie prekär der Fachkräftemangel tatsächlich ist, zeigt sich an den Zeiten der Neubesetzung von Stellen: Im ambulanten Setting dauert die Neubesetzung einer Stelle mit Fachpersonal zwischen neun bis zwölf Monaten. Die Ausbildungszahlen bieten zudem wenig Hoffnung, dass sich die Lage in Zukunft entspannen wird. Im Jahr 2035 werden 40,3 Prozent des derzeitig in Niedersachsen registrierten Pflegefachpersonals in Rente gehen. Nur 25,8 Prozent des derzeitigen Pflegepersonals sind zwischen 19 und 35 Jahre alt.  

„Pflege ist Daseinsvorsorge. Gerade in einem Flächenland wie Niedersachsen muss eine regionale Abdeckung von ambulanter und stationärer Pflege gewährleistet sein“, so Andrea Hirsing, Bereichsleitung Pflege und Gesundheit bei der Diakonie in Niedersachsen. „Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass der Beruf der Pflegefachkraft attraktiver wird. Wir als Arbeitgeber wollen unseren Beitrag dazu leisten. Die Diakonie in Niedersachsen zahlt schon lange nach Tarif, das betriebliche Gesundheitsmanagement wird gerade flächendeckend ausgebaut und durch eine gezielte Personalentwicklung bieten wir Karrieremöglichkeiten an. Als kirchlicher Träger haben wir zusätzlich die Möglichkeit unsere Mitarbeitenden auch seelsorgerisch zu betreuen, damit sie mit herausfordernden Situationen besser zurecht kommen.“

„Das wird jedoch alles nicht reichen, um den Bedarf an Pflegefachpersonal zu decken“, stellt Hans-Joachim Lenke, Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen fest. „Der Fachkräftemangel ist in allen Branchen angekommen, der Kampf um Bewerber*innen wird immer härter. Auch deshalb fordern wir von der Politik, die Fachkräftegewinnung aus dem Ausland zu entbürokratisieren und damit zu vereinfachen. Wir brauchen die ethisch verantwortbare Zuwanderung als einen weiteren Baustein, anders können wir den Fachkräftemangel nicht lindern.“

Die pflegerische Versorgung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dieser Herausforderung muss mit weiteren Modellprojekte für alternative Pflegemodelle, sowie durch einen Abbau von Bürokratie zur Attraktivitätssteigerung des Berufsfeldes begegnet werden, damit den Pflegenden mehr Zeit für die eigentliche Pflege bleibt.

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